Digitale Nomaden: bleiben und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Klages & Partner

Digitale Nomaden

Anhalten und arbeiten, wo es am schönsten ist

Immer mehr Menschen entdecken die Vorzüge, von unterwegs zu arbeiten. Die Reisemobilcouch stellt vier davon vor: was treibt sie, welche Erfahrungen machen sie, und welche Tipps haben sie für die, die das auch mal ausprobieren wollen.

Digitale Nomaden: Trend nicht erst seit Home-Office

Digitale Nomaden sind Menschen, die ihre feste Wohnung aufgeben, meist in ein Wohnmobil ziehen und von Unterwegs ihrer meist digitalen Arbeit nachgehen. Es sind oft Selbständige oder Freelancer, Menschen mit Outdoor-Affinität oder Handelsvertreter, die lieber im eigenen Wohnmobil schlafen als im Hotel. Auch Unternehmen haben den Trend schon entdeckt und werben auf Jobmessen mit speziellen Angeboten – mehr dazu im vierten Beispiel.-

Digitale Nomaden fahren mit ihrem Wohnmobil einfach dorthin, wo es ihnen gefällt, ob an den Campingplatz am See oder nach Thailand. Von unterwegs arbeiten sie, völlig frei von festen Arbeitszeiten, Arbeitsorten, Kleidungszwängen. Eine Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem Jahr 2016 mit dem Titel „Wertewelten Arbeiten 4.0“ stellt dar, dass 93 Prozent der Befragten es als den zentralsten Wunsch für die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes ansehen, dass sie selbständig und frei über Arbeitszeit und Arbeitsort bestimmen zu können. Dieser Trend wurde durch Home-Office in den vergangenen Jahren noch stark befördert.

Digitale Nomaden setzen diesen Wunsch konsequent um. Dabei ist jedes Konzept eines digitalen Nomaden anders, entspricht es doch im Idealfall genau der Lebensvorstellung dieses Menschen: will er oder sie die Welt entdecken, einfach nur in der Natur sein, einem bestimmten Sport nachgehen oder auf einen großen Hausstand verzichten – die Motive für digitale Nomaden sind so vielfältig wie das Leben. Insofern gibt es für digitale Nomaden nicht ein Konzept, sondern unendlich viele. Vier davon stellt die Reisemobilcouch vor.

Digitale Nomaden: bleiben und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Martin Glass
  • Foto: Martin Glass
Digitale Nomaden: bleiben und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Lutz Löscher
  • Foto: Lutz Löscher

Digitale Nomaden: Beispiel 1

Medienmanager Martin Glass (33)

Martin Glass war noch nie ein Fan von Nine-to-Five-Jobs. Deshalb arbeitete der gebürtige Leipziger auch fünf Jahre auf dem Kreuzfahrtschiff AIDA und leitete dort die Medienabteilung, später dann stationär in Rostock. Damals schon lebte er in dem alten grünen Polizeibus, den er zum Wohnmobil ausgebaut hatte, direkt an der Ostsee. Drei Jahre lang hatte Glass an seinem Mobil gewerkelt und in die Ausstattung fast 30.000,- € investiert, bis seine „Gisela“ wie er sein Wohnmobil in Erinnerung an seine Oma nennt, einsatzfähig war. Gisela hat auf acht Quadratmetern alles, was der digitale Nomade für sein Nomadensein braucht: ein großes Bett, Kochfeld, Dusche, Waschbecken, eine bequeme Sitzecke. Im Rückblick würde Glass, würde er Gisela noch einmal bauen, den Schlaf- und Badbereich etwas verändern: das Bett würde er der Länge nach in den Bus bauen, damit sich der 1,78-Meter-Mann besser ausstrecken könnte, und das Bad zugunsten eines eigenen Arbeitsschreibtisches verkleinern.

Digitale Nomaden: bleiben und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Martin Glass
  • Foto: Martin Glass
Perfekte Technik fürs mobile Arbeiten

Dafür hat er bei der Technik alles richtig gemacht: LTE- und Wlan-Antenne auf dem Dach, Repeater und Verstärker in den Wagen hinein sorgen für perfekten Empfang – zumindest in den zahlreichen Ländern mit dichterem Mobilfunknetz als in Deutschland. Denn die perfekte Internetverbindung ist Voraussetzung dafür, dass Glass als selbständiger Layouter und Medienmanager arbeiten kann. Seinen Kunden gegenüber hat er sehr offen kommuniziert, dass er künftig von unterwegs für sie arbeiten wird. „Sie finden das gut, entscheidend für sie ist nicht der Ort, sondern die Deadline und die Qualität der Arbeit“, sagt Glass. Inzwischen hat er aus der Szene der digitalen Nomaden sogar weitere Kunden gewonnen. „Wichtig sei aber, rät er Neu-Nomaden, dass man bereits einen verlässlichen Kundenstamm habe, bevor man sich in Bewegung setze.

Digitale Nomaden: anhalten und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Martin Glass
  • Foto: Martin Glass
Am liebsten in der Natur

Glass arbeitet am liebsten in der Natur, meist auf freien Stellplätzen, selten auf Campingplätzen. „Ich mag es, allein vor meinem Wohnmobil zu sitzen, an einem See, den Laptop auf dem Schoss, ich kann mir keinen schöneren Arbeitsplatz vorstellen.“ Das gilt auch für den Winter: „Klar ist es da nässer, kälter und schmutziger, aber mir macht das nichts, und ich habe eine gute Standheizung im Fahrzeug.“ Außerdem könne man als Nomade dem Winter ja auch davonfahren, sagt er. Den kommenden Sommer will Glass in Schweden verbringen und danach plant er eine Weltreise. Eigentlich wollte er nach Australien aufbrechen, über den Iran, Kasachstan, Russland, doch das ist ihm wegen des Kriegs zu heikel. Deshalb hat er die Himmelsrichtung gedreht, will die Fähre von Hamburg nach Halifax in Kanada nehmen und dann den ganzen Kontinent hinunterfahren bis in den Süden Chiles.

Digitale Nomaden: bleiben und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Martin Glass
  • Foto: Martin Glass
Selbstdisziplin ist wichtig

Bei all den ihn erwartenden Reiseerlebnissen: wichtig für den digitalen Nomaden bleibt die Selbstdisziplin. „Aber das gilt ja für Selbständige und Freelancer sowieso, dass man sich gut organisieren muss und sich nicht zu sehr von Privatem ablenken lassen darf bei der Arbeit“, sagt Glass. Trotzdem ist der Urlaubsfaktor für ihn einer der wichtigsten Gründe dafür, dass er als digitaler Nomade unterwegs ist. Gut 500 € im Monat kostet Glass dieses Unterwegssein. Rund 100 € für Steuer und Versicherungen, 300 € für den Diesel und weitere 100 € für Internet und Parkgebühren. Wasser gibt es kostenlos an vielen Stellplätzen, Strom kommt über die Solaranlage oder Versorgungseinrichtungen. Im Vergleich zu einer kleinen Wohnung in seiner Heimatstadt Leipzig spart Glass sich durch sein Nomadenleben kein Geld. „Ich gewinne allerdings unfassbar viel Lebensqualität!“

Mehr zu Martin Glass und seiner Gisela auf Instagram

Der Zeitraffer des Fahrzeugausbaus

Und hier geht es zu Giselas Youtube-Kanal

Digitale Nomaden: bleiben und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Martin Glass
  • Foto: Martin Glass

Digitale Nomaden, Beispiel 2

Weinhändler Christian Bonfert (55)

Christian Bonfert arbeitet schon seit vielen Jahren europaweit und legte Jahr für Jahr lange Strecken vom heimatlichen Würzburg nach Lissabon, Rom oder Stockholm mit dem Auto bzw. Flugzeug zurück. Als Europa-Repräsentant vertritt er das neuseeländische Weingut Marisco Vineyards, das hervorragenden Sauvignon Blanc, Pinot Gris und Pinot Noir produziert. Schon vor der Pandemie hatte Bonfert nie rechte Lust auf Hotelzimmer und immer schon mit einem Wohnmobil geliebäugelt. Die Reisebeschränkungen in den Jahren 2020 und 2021ließen ihn dann ein Angebot eines Händlers annehmen: ein als vollgültiges Büro ausgestattetes Fahrzeug mit zwei Arbeitsplätzen, Satellitenschüssel auf dem Dach und kompletter Verkabelung für Internet, Bildschirm, Drucker. Und die Reifen sind auf „all terrain“ umgerüstet, damit es auf Wiesen nicht zu sehr rumpelt.

Digitale Nomaden: bleiben und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Christian Bonfert
  • Foto: Christian Bonfert
Beim Büromobil steuerliche Aspekte beachten

„Was ich aber zunächst unterschätzt hatte, war das Finanzamt“, sagt Bonfert. Schließlich wollte er sein neues Wohnmobil offiziell als Büromobil zulassen, um die Vorsteuer ziehen und die Kosten als Betriebsausgaben absetzen zu können. „Ich musste dafür extra ein TÜV-Gutachten erstellen lassen, dass es sich hierbei um ein fahrendes Büro mit angeschlossenem Hotelzimmer handelt“. Und privat darf er es dann auch nur zu höchstes zehn Prozent nutzen – bei seinen langen geschäftlichen Fahrten ist das kein Problem, aber „das unterschätzen viele!“

Seither tourt Bonfert mit seinem Büromobil durch Europa zu seinem Kunden, demnächst zu einem Festival in Rumänien. Im Anhänger dabei hat er seinen Verkostungsstand mit Werbezelt, Werbematerial und natürlich viele Kisten Wein. „Für Hausmessen ist das ideal, die Kunden finden das sehr gut, wenn ich im Büromobil ankomme, einige haben schon gefragt, ob sie es sich mal ausleihen können. 2021 war Bonfert zwar nur 10.000 Kilometer unterwegs, auch wegen der pandemiebedingten Beschränkungen in der Gastronomie, dieses Jahr wird es ein Mehrfaches sein. Oft mit dabei ist seine Frau, deshalb gibt es im Büromobil zwei separate Arbeitsplätze. „Ich habe das nicht bereut, es ist eine wunderbare Form des geschäftlichen Reisens“, sagt er. Bleibt also nur die Frage, wann sich die Bonferts aufmachen zum Weingut in Neuseeland.

Mehr erfahren über Christian Bonfert und seinen neuseeländischen Wein

Digitale Nomaden: anhalten und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Christian Bonfert
  • Foto: Christian Bonfert

Digitale Nomaden, Beispiel 3

Outdoor-Fan Lutz Löscher (69)

Lutz Löscher ist ein alter Hase unter den digitalen Nomaden: bereits seit elf Jahren ist der IT-Berater im Wohnmobil unterwegs, in der Regel vier bis sechs Monate im Jahr. Das lässt sich mit seinem Beruf bestens verbinden, denn er betreut Privat- und Firmenkunden in Sachen EDV. „Und Fernwartung kann man problemlos auch von unterwegs bzw. nachts machen“ sagt Löscher – und tagsüber die Natur genießen. Für Löscher war es immer wichtig, viel draußen zu sein, Sport zu betreiben und die Natur zu genießen. Deshalb ist er schon früher häufig mit dem VW Camping-Bus unterwegs gewesen, wenn er zum Teil für mehrtägige Einsätze zu Kunden musste. Hotelzimmer waren und sind nicht sein Ding.

Digitale Nomaden: bleiben und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Lutz Löscher
  • Foto: Lutz Löscher
Internet in Deutschland oft noch schwach

Jetzt hat er ein sehr kompaktes, voll ausgerüstetes Wohnmobil mit allen erforderlichen Einrichtungen. Am Wichtigsten sind Solaranlage und die Internetverbindung, und die unterliegt zu seinem Bedauern oft nicht seinem Einfluss. „Wir sind bei der Abdeckung der Mobilfunknetze in Deutschland nach wie vor nicht gut, Italien, die Niederlande sowie Frankreich sind viel besser. Auf einer Tour von Zittowitz nach Usedom rettete ihn längere Zeit das hereinwabernde polnische Netz. „Die Netzbetreiber machen es den digitalen Nomaden an manchen Orten ganz schön schwer.“

 

Gerade ist Löscher wieder losgefahren: Nach Nord-Holland ans Lauwersmeer. Danach will er nach Slowenien, eigentlich waren die baltischen Staaten geplant, das will er nun aber auf die Zeit nach dem Ukraine-Krieg verschieben. Löscher ist ein Liebhaber von freien Stellplätzen, möglichst naturbelassen. Campingplätze versucht er zu vermeiden, oft steht er mit seinem Fahrzeug autark in der Landschaft. Früher war er häufig zusammen mit Kollegen unterwegs, die ein eigenes Mobil hatten, heute fährt er in der Regel allein. „Aber mit dem Wohnmobil unterwegs zu sein bedeutet ja gerade nicht, allein zu sein, man trifft viele Leute, es gibt faszinierende Begegnungen.“

Digitale Nomaden: bleiben und arbeiten, wo es am schönsten ist

Digitale Nomaden, Beispiel 4

IT-Projektleiter Markus Heeger (44)

Ein Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern ein Wohnmobil zur Verfügung stellt, um einfach damit loszufahren? Gibt es sowas? Ja, in Wallenhorst bei Osnabrück. Wie in fast allen Branchen, fällt es auch IT-Unternehmer Dieter Klages seit Jahren immer schwerer, fachkundiges Personal für sein Software-Unternehmen zu akquirieren. Die Pandemie hat ihn dann auf eine völlig neue Idee gebracht, um das Arbeiten bei Klages & Partner noch attraktiver zu gestalten: wenn seine Mitarbeiter schon alle im Home Office arbeiten – wieso nicht gleich in der Natur, an einem schönen Ort, an einem See oder auf einem Berg? Einfach mal raus, um durchzuatmen und einen neuen, kreativen Freiraum entdecken. Klages, selbst seit vielen Jahren leidenschaftlicher Camper, hat dann kurzerhand ein Wohnmobil gekauft und seinen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt. Wer will, kann es nutzen, mit dem Fahrzeug wegfahren und von unterwegs aus arbeiten. Für einen Kurztrip oder auch eine ganze Woche – ganz nach eigenem Geschmack. Die Firma übernimmt die Stellplatzgebühren, die Spritkosten und alle weiteren Kosten des Fahrzeugs.

Markus Heeger war der erste, der bei diesem Angebot zuschlug. Er arbeitet bereits seit zwanzig Jahren im Unternehmen und schätzt seinen Chef auch für dessen oft außergewöhnliche Ideen. Bislang war Heeger zwar eher kein Camper, er ist aber sehr gern in der Natur unterwegs und fand es spannend, das mit dem Wohnmobil mal auszuprobieren. Nach ein paar Proberunden mit dem noch ungewohnten Fahrzeug ging es los auf einen Campingplatz an einem nahe gelegenen See. „Das hatte schon was: der Wald, die Ruhe, das Wasser, das Vogelgezwitscher, die Gerüche“, sagt Heeger. Dazu kam super Wetter. „Ich habe dieses Erlebnis als echte Bereicherung im Arbeitsalltag empfunden und werde das Wohnmobil definitiv noch des Öfteren in Anspruch nehmen.“

Digitale Nomaden: bleiben und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Klages & Partner
  • Foto: Klages & Partner
Digitale Nomaden: bleiben und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Klages & Partner
  • Foto: Klages & Partner

Inzwischen nutzt Dieter Klages das Camping-Office, wie er das Wohnmobil nennt, als Leitmotiv für eine Recruiting-Kampagne und kommuniziert dies auf Jobmessen und anderen Kanälen. Der Anklang ist sehr groß. Sieben Mitarbeiter konnte das Unternehmen dadurch bereits gewinnen, das eine spezialisierte Software für die Personalplanung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen entwickelt hat und vertreibt. Die Idee mit dem Camping Office nutzt den Trend, dass immer mehr Menschen Arbeit und Freizeit besser verbinden wollen – warum nicht auch in der Natur?

Mehr zum Camping-Office

Was Sie beachten sollten:
Tipps zum Arbeiten im Wohnmobil

Text
Gerd Henghuber

Quellen
Eigene Recherchen

Digitale Nomaden: bleiben und arbeiten, wo es am schönsten ist | © Foto: Klages & Partner
  • Foto: Klages & Partner
Was halten Sie von einer "Workation"?

Falls Sie die Möglichkeit haben, im Home-Office oder mobil zu arbeiten, würden wir uns freuen, wenn Sie an unserer kurzen Umfrage teilnehmen.

© Alpine
  • Alpine
Kommentare
Anmelden um zu kommentieren
0 Kommentare