Der Dank hätte wohl eher Google Maps gelten müssen, auf jeden Fall nicht dem Jahrestag der Idee, mit der die Reisemobilfahrer damals aus der Illegalität befreit wurden. Denn wildes Camping wird auch heute nur selten geduldet. Und das Übernachten am Straßenrand stellt immer noch eine Ordnungswidrigkeit dar. Erlaubt war und ist nur eine Ruhepause, damit der Fahrer das Lenkrad wieder sicher übernehmen kann.
Ebenso wenig wie die Rechtslage änderte sich die Erwartung der Menschen in den Landyachten. Sie wollten überall dort anlegen können, wo es ihnen gefiel. Für die Einheimischen war das nur neues „fahrendes Volk“. Es brauchte einen Interessenausgleich. Die Gemeinden, der Einzelhandel und erst recht die Gastronomie hätten ein Interesse daran haben müssen, zahlungskräftige Durchreisende so lange wie möglich in der Region zu halten. Die Wohnmobilisten suchten ebene, saubere und sichere Plätze für die Übernachtung, am besten mit Versorgungsmöglichkeit.
So entstand im Bayerischen Wald ein Großversuch. Dessen Elemente sind dort und inzwischen in den meisten Regionen zum Reisemobil-Alltag geworden. Der Weg von der Idee des damaligen Pressesprechers des Wohnmobil-Marktführers führte über Ludwig Reiner, den Verkehrsdirektor der Stadt Viechtach, den Bürgermeister, das bayerische Innenministerium, diverse Einzelgespräche vor Ort und Bürgerversammlungen mit Unterstützung von Volkswagen und begleitet von Fachjournalisten zum Erfolg.
Als sichtbarer Abschluss des Prozesses dienten ein neues Verkehrszeichen mit der Silhouette eines Reisemobils und ein kleiner Reiseführer für die Region mit Hinweisen auf touristische Attraktionen, reizvolle Gasthöfe – jeweils kombiniert mit Speisekarte –, die ein Übernachten vor der Tür gestatteten, geeignete, ruhige öffentliche Parkplätze und dazu eine passende „Hausordnung“. Deren Einhaltung sollte beiderseitiges Verständnis und Wohlverhalten garantieren.
Die erste Auswertung der Ergebnisse vor Ort löste bei den Vätern des Modells große Zufriedenheit aus. Nur der Besitzer eines der zwei Dutzend ausgewiesenen Stellplätze zog seine Einwilligung zurück. Er hatte ein Pärchen in einem selbstausgebauten Transporter ohne sanitäre Anlagen in seinen Anlagen erwischt und dann auch noch die Spuren eines Lagerfeuers auf seinem Parkplatz beseitigen müssen. Die Nachfrage in der Stadt ergab außerdem, dass die Umsatzprognose in der richtigen Größenordnung lag: Aus jedem Fahrzeug heraus entstand pro Tag ein Umsatz von 150 Mark.
Der Erfolg des Modells Viechtach sprach sich dank breiter Unterstützung der Presse rasch herum. Die Wohnmobilisten wurden von misstrauisch beäugten Exoten zu gern gesehenen Weltenbummlern. Nach 40 Jahren haben sich viele von ihnen sogar mit Dickschiffen zu Zeitgenossen mit hohem Sozialprestige emporverdient. Nun entsteht für die Branche ein neues Problem. Auch wenn aus den 150 Mark von damals heute 150 Euro geworden sein sollten. Es sind viele und viele große.
Das wird spätestens an dem Sonntag klar, als am späten Nachmittag der zweite Pizzabote darauf bestand, die 83 habe bestellt. Hinter dem Zaun, bei den Voll- und Teilintegrierten war wohl ein opulentes Abendessen angesagt. Der Ideengeber für das Modell Viechtach wird wohl nun mit der Konsequenz leben müssen, zur Übergabestation für Lieferando und andere zu werden. (cen/Sm)